Книга Gleichwertige Lebensverh?ltnisse - Vision oder Illusion

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F?r viele Jahrzehnte sind in Deutschland tausende Kilometer an Gleisstrecken stillgelegt worden. Nach der Privatisierung der Bundesbahn sollte die Bahn AG auf Gewinn getrimmt und f?r den B?rsengang attraktiv gemacht werden. W?hrend der Fernverkehr auf den Magistralen alle Aufmerksamkeit genoss, zog sich die Bahn aus der Fl?che weiter zur?ck. Die volks- und betriebswirtschaftlichen Daten sprachen eine deutliche Sprache: unrentabel. Es bedurfte der beiden D?rrejahre 2018 und 2019, alarmierender Berichte ?ber das Artensterben und der Fridays-for-Future-Bewegung, um die Erkenntnis mehrheitsf?hig zu machen, dass der auf der Verbrennungstechnologie beruhende Individualverkehr nicht auf ewig zu annehmbaren gesamtgesellschaftlichen und -wirtschaftlichen Kosten die Hauptlast des Verkehrs tragen kann. Die Antwort ist unter anderem die Senkung der Mehrwertsteuer auf Bahntickets, es sollen sogar einige Strecken wieder an das Schienennetz angeschlossen werden. Das ist eine gute Nachricht. Doch sie hat einen bitteren Beigeschmack. Lange war kein sozial- oder regionalpolitisches Argument und kein Hinweis auf ver?dende St?dte und sterbende D?rfer stark genug, um bei den Verantwortlichen einen verkehrspolitischen Sinneswandel auszul?sen. Dazu bedurfte es des Bienensterbens. Die Menschen in den buchst?blich abgeh?ngten Regionen fragen sich mit einiger Berechtigung, ob das mehr z?hlt als sie. Diese Sorge ist zwar nicht ganz schl?ssig, weil es letztendlich um unterschiedliche Dinge geht. Verst?ndlich ist sie dennoch. Daran zeigt sich, dass die Stadt-Land-Problematik nicht allein eine Frage «gleichwertiger Lebensverh?ltnisse» ist, sondern eine der gegenseitigen Achtung. Denn die Zahlen weisen darauf hin, dass die Infrastruktur in Deutschland von wenigen Ausnahmen abgesehen auch im l?ndlichen Raum gut ist. Doch was soll ein Wolfratshausener davon halten, dass die M?nchener Metropole zunehmend auf die Wasserreserven des Voralpenlands zugreift, die erholungsbed?rftigen Gro?st?dter die dortige Infrastruktur massiv in Anspruch nimmt und die Ankunft des Wolfes bejubeln, wohl wissend, dass dieser auf der Theresienwiese keine Schafe schlagen wird? Hier sind Nutzen und Belastung – gef?hlt oder tats?chlich – zu ungleich verteilt. Das wird eine zuk?nftige Infrastrukturpolitik zu beachten haben. Die Schattenseite der Gro?stadt zeigt sich hingegen bei der Wohnungssuche. Hier gehen Politik- und Marktversagen Hand in Hand, haben einen langsamen Prozess der «Gentrifizierung» nach sich gezogen, der das Gesicht zun?chst eines Quartiers, dann eines Stadtteils und schlie?lich einer ganzen Stadt ver?ndern kann. Soll diesen Entwicklungen Einhalt geboten werden, wird den Kommunen eine Schl?sselrolle zukommen m?ssen. Ob sie dazu – rechtlich und vor allem finanziell – in die Lage versetzt werden, steht in den Sternen. Dabei wird sich an dieser Frage auch entscheiden, ob die Menschen den Eindruck zur?ckgewinnen, durch ihr Votum bei der Wahl einen Unterschied zu bewirken, weil die Kommunen mehr als ihre Pflichtaufgaben zu erf?llen in der Lage sein werden.